Object: nyu, lunggai, tempesing
Culture and time: West-Borneo, Sarawak or Kalimantan, Kenyah (possibly Iban), late 19th century / early 20th century
Dimensions: Length 35 cm
The handle of this extraordinary knife (tempesing or lunggai, literally „feather“) can be considered a textbook example of Kenyah carving at the highest level. A carefully selected piece of forked Sambar stag antlers was used, which in this case has practically no porous core. The whole structure is grouped around the central pierced double spiral, which embodies the soul’s or the afterlife’s journey and the ability to rededicate life energy by the warrior and headhunter. Above the spiral the aso, the dragon embodying the underworld, can be recognized as the recipient of the souls and moderator of the headhunting. The two main arms of the handle that surround him are literally lost in a tangle of almost vividly appearing, protruding leech groups (lemetak) – morphologically probably originally parts of the aso (dragon) body, but in the course of time reinterpreted into independent motif groups.
In some places the bent elements between the leeches can be recognized, which can be traced back to limbs of either the aso or human forms. Similar to the teeth and claws of mythical creatures, the limbs have been removed from their original context and regrouped as individual elements. At the base of the handle small circular forms are recognizable, which might be a subtle hint of the head or skull motif. The original winding of the handle is lost. The brass wire netting in the lower part of the handle indicates Kenyah or perhaps Iban work. These were everyday and especially carving tools, often the only available ones, which makes the immense quality of some of the work on the handles even more astonishing.
The question arises as to the purpose of the knife, as it cannot have been carried on the sheath of the mandau in the usual way – the form is unsuitable for this. There are several possibilities to consider. The knife may have been intended for harvest rituals or the ritualized cutting off the first ears of grain. However, the very strong emphasis on the life cycle in the ornamental groups of the handle, especially the central spiral, suggests a context with the rites de passage (birth, initiation, death). The donation of such knives between nobles is in context with fertility and the continuation of genealogies. There is a continuous mysterious connection between blades and new-born children in the Dayak. The Iban believe that the god Selempandai, the „divine smith“, forges the souls of the children and hardens them in his water trough. Very well possible is also a use by the shaman in the context of rituals (pelian), which should protect the expectant mother from disaster and miscarriages.
The knife might have been intended as a wedding present or, in the case of a clan alliance, as a gift between high-ranked families and embodies the desire for trouble-free birth and healthy offspring.
//Objekt: nyu, lunggai, tempesing
Kultur und Zeitstellung:West-Borneo, Sarawak oder Kalimantan, Kenyah (evtl. Iban), spätes 19./ frühes 20. Jahrhundert
Maße: Länge 35cm
Der Griff dieses außergewöhnlichen Messers (tempesing oder lunggai, wörtl. „Feder“) kann geradezu als Lehrstück für Kenyah-Schnitzarbeiten auf dem höchsten Level angesehen werden. Es wurde ein sorgfältig ausgesuchtes Stück gegabelten Sambar-Hirschgeweihs verwendet, das in diesem Fall praktisch keinen porösen Kern hat. Der ganze Aufbau gruppiert sich um die zentrale durchbrochene Doppelspirale, die die Seelen- bzw. Jenseitsreise und die Fähigkeit zur Umwidmung von Lebensenergie durch den Krieger und Kopfjäger verkörpert. Oberhalb der Spirale ist der aso, der die Unterwelt verkörpernde Drache, als Empfänger der Seelen und Moderator der Kopfjagd zu erkennen. Die beiden Hauptarme des Griffes, die ihn einfassen, verlieren sich förmlich in einem Gewirr von fast lebendig wirkenden, ausgreifenden Blutegel-Gruppierungen (lemetak) – morphologisch wohl ursprünglich Teile des aso-(Drachen-)Körpers, aber im Laufe der Zeit zu eigenständigen Motivgruppen uminterpretiert.
Mancherorts erkennt man an diesem Griff, dass sich geknickte Elemente zwischen den Blutegeln erkennen lassen, die auf Gliedmaßen entweder des aso oder aber der Menschenformen zurückführen lassen. Ähnlich wie die Zähne und Krallen der Fabelwesen sind die Gliedmaßen aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst und als Einzelelemente neu gruppiert worden. An der Basis des Griffes sind kleine kreisförmige Formen erkennbar, die dezente Andeutung des Kopf- oder Schädelmotivs sein dürften. Die ursprüngliche Bewicklung der Handhabe ist verloren. Das Messingdraht-Geflecht im unteren Bereich deutet auf Kenyah- oder vielleicht auch Iban-Arbeit hin. Es waren Alltags- und vor allem auch Schnitzwerkzeuge, oft die einzig verfügbaren, was die immense Qualität einiger Arbeiten an den Griffen noch erstaunlicher macht.
Es stellt sich die Frage nach dem Zweck des Messers, denn es kann nicht in üblicher Weise an der Scheide des mandaugetragen worden sein – dafür ist die Form ungeeignet. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die in Betracht zu ziehen sind. Das Messer war eventuell für Erntedank-Rituale bzw. das ritualisierte Schneiden der ersten Ähren vorgesehen. Die sehr starke Herausstellung des Lebenszyklus in den Ornamentgruppen des Griffs, vor allem der zentralen Spirale, deutet jedoch auf einen Kontext mit den rites de passage (Geburt, Initiation, Tod) hin. Die Schenkung solcher Messer zwischen Adligen steht im Kontext mit Fruchtbarkeit und der Fortführung der Genealogien. Zwischen Klingen und neugeborenen Kindern besteht bei den Dayak durchgängig ein geheimnisvoller Zusammenhang. Die Iban glauben, dass der Gott Selempandai, der „göttliche Schmied“, die Seelen der Kinder schmiede und in seinem Wassertrog härte. Sehr gut möglich ist auch eine Verwendung durch den Schamanen im Kontext der Rituale (pelian), die die werdende Mutter vor Unheil und Fehlgeburten schützen sollten.
Das Messer dürfte als Hochzeitsgeschenk oder bei einem Clanbündnis als Geschenk zwischen hochrangigen Familien vorgesehen gewesen sein und verkörpert den Wunsch nach problemloser Geburt und gesunder Nachkommenschaft.
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